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Dienstag, 12. August 2014, 10:12

Vergangenheit - Gegenwart - Zukunft

Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft

Zur Zeit des historischen Buddha, des Erleuchteten, lebte in Indien ein mann - zurückgezogen von anderen Menschen, ohne Familie, ja: er hatte auch keine Freunde und er arbeitete nicht. Er war ein Krimineller: er stahl, betrog, vergewaltigte Frauen und auch hinterhältiges Morden gehörte zu seinem Leben.

Eines Tages aber sinnierte er über sich und traf die Entscheidung, sein Leben ändern zu wollen. „Ich bin ein Sünder“, dachte er, „aber wer wird mir denn helfen? Die Menschen fürchten sich vor mir - zumindest die, die auf den Straßen sind. Mein Kommen flößt ihnen Furcht und Schrecken ein, sie flüchten bei meinem Anblick. Denen mich anvertrauen? Nein. Außerdem sind viele von ihnen auch nicht sehr viel besser als ich. Aber vielleicht der Buddha? Von ihm wird gesagt, er sei erleuchtet; steht der denn nicht jenseits von Gut und Böse? Er wird mir helfen! Er muß mir helfen! Würde er mich zurückweisen - es bleibe mir nur der Tod.“

Er machte sich früh am Morgen, vor Sonnenaufgang, auf zum Tempel, um auch wirklich den Weisen anzutreffen. Dort angekommen wanderte er ein ums andere mal um die Tempelanlage herum und hielt Ausschau nach dem für ihn geeigneten Eingang, vielleicht, so überlegte er auf seinem Gang zum Westtor, würde sein Unternehmen erfolgreicher sein, wenn er durch das Osttor hineinginge? Oder wenn er erst nach Sonnenaufgang vor den Erwachten treten würde?

Und so weiter grübelnd ging er unentschlossen um den heiligen Bezirk herum, und die Zeit verstrich. Gegen Mittag schließlich, die Sonne brannte ihm in sein Gesicht, fasste er Mut und kletterte über die kleine Tempelmauer - sicher war es besser, wenn die Wächter dieses heiligen Bezirks ihn nicht sofort sehen und melden würde.

Kaum aber, da er einige Schritte gemacht hatte, sprach ihn Ananda, einer der alten Mönche, an: „Bist Du nicht der von uns allen gefürchtete Mörder und Dieb? Was willst Du hier bei uns?“ Er war entdeckt! Scher zu sagen, ob es ihm unangenehm war, aber in seiner Rede klang doch auch ein Stück Erleichterung an: „Ehrwürdiger, ich möchte Eure Hilfe, mein Leben zu ändern. Niemand versteht mich, niemand mag mich, selbst ich mag mich nicht. Den Erwachten möchte ich sprechen, er wird mir vielleicht einen Rat geben können und wenn nicht dies, so wird doch er der Einzige sein, der mich wirklich anhört.“

Ananda zögerte, zu antworten. Ob dieser Mann wirklich aufrichtig war? Waren sie nicht alle jetzt durch diesen durch und durch verdorbenen Menschen in Gefahr? Aber hatte andererseits der Erleuchtete nicht auch gelehrt, allumfassende Güte zu praktizieren, zu jedem Wesen, ob groß, ob klein, ob stark, ob schwach, ob rein, ob unrein?

Der Mönch gab sich einen Ruck: „Unser Lehrer ist auf dem Bettelgang, um Speise zu sammeln, und ich werde Dich nicht wegschicken. Komm mit mir; wenn Du willst, dann werde ich Dir zuhören.“

Es war zwar nicht das, was der Mann eigentlich gewollt hatte, wer verhandelt schon gerne mit einem Stellvertreter? Andererseits war dies immerhin besser, als sich allein mit diesen Problemen weiterhin herumzuschlagen. So zogen sie sich an einen stillen Platz zurück, fern von anderen und der Sünder erzählte seine Lebensgeschichte; aufmerksam hörte Ananda zu.

Als der Mann seinen Bericht beendet hatte, schwiegen beide eine Zeit lang; schließlich sprach der Mönch: „Während du erzähltest habe ich Dir aufmerksam zugehört und bin in Gedanken Deine vergangenen achtzigtausend Leben durchgegangen. Doch nirgendwo fand ich auch nur ein einziges gutes Samenkorn. Es stimmt: Du bist ein Sünder, und niemand vermag Dir zu helfen. Für Dich“ und dabei war es Ananda anzumerken, wie schwer ihm diese Worte fielen, „für Dich gibt es keine Rettung.“
Der Verbrecher erhob sich schweigend. Die Rede des Mönches hatte ihn getroffen wie ein Keulenschlag. Mit zitternden Knien ging er zum nächsten Haupttor. Die anderen Menschen um sich herum beachtete er nicht. Er war bereit, seinem elenden und verderbten Leben ein Ende zu setzen - jetzt und hier.

Draußen angekommen begann er, seinen Kopf gegen die Mauer zu schlagen um sich zu töten. Neugierige sammelten sich und betrachteten zufrieden diese Verzweiflungstat, die doch nichts anderes war als ein gerechtes Ende eine Ungerechten; so ließen sie ihn gewähren.
Schon nach kurzer Zeit brummte ihm der Schädel, erste Risse in der Haut ließen das Blut hervorschießen. Er nahm kaum noch etwas um sich herum wahr.

Plötzlich wurde er an seinen Schultern gepackt, geschüttelt und von der Mauer weggerissen. „Hör auf!“ Der Ruf dröhnte dumpf in seinen Ohren. Es fiel ihm schwer, die Augen zu öffnen, das Blut rann über sein Gesicht. Ein Tuch wurde ihm gereicht.

„Hör auf, und komm mit mir“, hörte er wieder die Stimme sagen. Er erkannte den Buddha, der freundlich zu ihm schaute und sich dann, als ihre Blicke sich getroffen hatten, bereits zum Gehen wandte. Ein Raunen ging durch die Menge. Benommen torkelte er hinter dem Erwachten her, gestützt von Ananda.

Im Tempelbezirk wurde er sofort gewaschen und verbunden, und man reichte ihm Wasser zur Erfrischung. „Erzähl mir, was Du da draußen wolltest“, sprach der Weise, und mit müder Stimme erklärte sich der Sünder, beschrieb sein elendes Leben, seine Untaten, und schließlich, dass ihm Ananda, der Mönch, gesagt hatte, es gäbe keine Rettung für Ihn; auf was anderes als den Tod sollte er also noch hoffen?

„Du bleibst hier“, entschied Buddha, „und du lässt dir den Kopf scheren, wechselst die Kleidung und erhältst die Robe. Und Du wirst zu mir kommen, jeden Tag dreimal, und ich werde Dich lehren, zu meditieren“ - sprach’s und ging ohne weitere Erklärung davon.

Zur Verwunderung aller anderen Mönche geschah es so, wie der Erwachte gesagt hatte: der Sünder erhielt einen neuen Namen, lernte eifrig und führte seine Meditationen pflichtgemäß unter persönlicher Anleitung des Buddha durch. Und bereits innerhalb einer Woche war er erleuchtet.
die anderen Weggefährten des Buddha tuschelten untereinander, war das nicht ungerecht? Sie, die nun schon so viele Jahre sich immer wieder neu bemühten, ein heiliges Leben zu führen und Tag für Tag nach Erleuchtung strebten durch Einhaltung der vorgeschriebenen Meditationsübungen und die Ordensregeln strikt beachteten, mussten mit ansehen, wie dieser Ungeschulte in nur sieben Tagen Erleuchtung erlangte! Nicht zu vergessen, dass gerade sie - jeder einzelne von ihnen! - doch sicher viele gute Eigenschaften wenigstens aus früheren Leben wohl mitgebracht haben mussten, denn sonst wären sie, so sprachen sie untereinander, sicherlich nicht hier zum Buddha gelangt.

Keiner von ihnen verstand wirklich, was da geschehen war. So drängten sie Ananda, Licht in das Dunkel zu bringen. Dieser nahm sich ein Herz und befragte den Buddha: „Meister, wie ist dies zu erklären? Beide haben wir, erst ich, dann Du, diesem armen Sünder zugehört. Beide sind wir seine vergangenen achtzigtausend Existenzen durchgegangen. Und beide haben wir kein einziges gutes Samenkorn bei ihm festgestellt. So konnte ich ihm nicht helfen. Und nun, nach wenigen Tagen und Unterweisung mit Dir hat er erreicht, wonach alle Schüler hier seit Jahren streben und von denen sicher viele schon früher als gute Wesen ihr Leben geführt hatten. Wie, so sag mir, ist diese wundersame Veränderung zu erklären?“

Buddha schmunzelte. „Du hast recht“, so sprach er, „dieser Mann war ein Sünder, und wir beide haben seine freudlosen und traurigen vergangenen achtzigtausend Existenzen betrachtet und kein einziges gutes Samenkorn dabei entdeckt. Der Unterschied zwischen Dir und mir aber ist ganz einfach: Du hast in seine Vergangenheit geschaut - ich in seine Zukunft.“

Matthias S. Hartmann
Garudaverlag
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Signatur von »Sir Thomas Marc« Nichts zu wissen ist keine Schande, nicht zu fragen schon!
Wer interpretiert, was er von anderen hört, bewegt sich lichtschnell am Kern der Worte der Anderen vorbei.
Lest ruhig zwischen den Zeilen. Auch wenn dort nichts steht...

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