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Dienstag, 3. November 2015, 18:34

Umgang mit Alzheimer-Erkrankten

Aus gegebenem Anlass.

Es geht mir hier nicht um eine medizinische Erklärung, sondern um den Umgang mit den Menschen, die diese Krankheit haben.
Medizinisch gesehen ist das ein wohl ein Nichtfunktionieren von Nervenzellen, Nervenzellkontakten.
Da ist im Netz viel dazu zu finden. Verschiedene Ursachen, Behandlungsmethoden, Verlauf der Krankheit.

Doch wie gehe ich damit um?
Diskussionen bringen nichts, weil ein Vordringen in die abgekapselte Welt des anderen, kaum oder nicht mehr möglich ist.
Was ich damit erreiche ist totale Sperrung, Angst und Nichtverstehen.
Kritik oder auch Klärung wird als Angriff wahrgenommen.

Leider leidet auch die Zuverlässigkeit, was Daten, Uhrzeiten und Abmachungen betrifft.
Diese werden auch äußerst aggressiv verteidigt. Ein anderer Mensch scheint vor einem zu stehen.

Hat da jemand Erfahrung oder kann Tips geben?
Was ist der psychische, geistige, seelische Hintergrund dieser Krankheit?
Signatur von »Lady Martina« "Life doesn't happen to you, it happens for you."

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Mittwoch, 4. November 2015, 17:48

Persönliche Erfahrung habe ich damit bisher keine.
Doch das was Du an persönlichen Schwierigkeiten im Umgang schilderst, ist sogar mit den von Dir gewählten Begriffen unter der Suchformulierung "Umgang mit Alzheimerpatienten" mit vielen Informationen gekrönt.
Ich zititere mal kurz:

Zitat

Stellen Sie sich vor, man setzt Sie mutterseelenallein in einer chinesischen Kleinstadt aus, wo Sie weder die Sprache kennen noch irgendetwas lesen können. Überall stoßen Sie auf völlig unverständliche Gebräuche wie das Essen mit Stäbchen. Und was das Schlimmste ist: Ständig treffen Sie auf Menschen, die auf Sie einreden, dabei so tun, als ob sie Sie schon lange kennen würden und von Ihnen erwarten, dass Sie über sämtliche Dinge Bescheid wissen.

Auch die Kranken der Wirklichkeit spüren oft, was sie eigentlich können sollten. Dass es ihnen gleichwohl nicht gelingt, schafft Angst und großen Ärger - über sich und über die fordernden Mitmenschen.


Entnommen dieser Seite: http://www.alzheimerinfo.de/angehoerige/umgang/

Kurz quergelesen habe ich diese Informationsbroschüre, die sehr umfassend und detailgenau zu sein scheint: http://www.eva-stuttgart.de/fileadmin/re…eber_Umgang.pdf

Einen Psychotherapeutischen Text habe ich auf die Schnelle gefunden, hier flugs die Zusammenfassung:

Zitat

Zusammenfassend sprechen die Ergebnisse der Studien verschiedener Arbeitsgruppen, die Befunde unserer eigenen biografischen Untersuchungen und die Beobachtungen aus den durchgeführten Behandlungen von Patienten dafür, dass später an Alzheimer erkrankte Personen bereits früh im Leben in ihrer seelischen (Selbst-) Entwicklung geschwächt wurden. Die Selbstidentität konnte sich nur schwach entwickeln, es entwickelte sich eine Tendenz zur Überanpassung. Es konnte kein markantes Gefühl der eigenen Identität entstehen. Die Patienten sind hinsichtlich ihrer autonomen Problemlösungskompetenz und ihrer Fähigkeit zur Selbstbestimmung beeinträchtigt. Neurobiologisch scheint dies mit einer Schwächung der synaptischen Vernetzung im Kortex und schließlich mit dem Eintritt in die Krankheit einherzugehen.

Die später Erkrankten entwickeln einen durch Konfliktvermeidung, durch Delegation schwieriger Entscheidungen an Andere und durch psychosoziale Inaktivität charakterisierten Lebensstil. Möglicherweise als Kompensation suchen sie sich pragmatisch hochkompetente Partner, von denen sie jedoch zunehmend abhängig werden. Schwere Störungen der Kommunikation und aufbrechende Konflikte im späteren Verlauf der Beziehung führen zu einem Zusammenbruch des bis dahin kompensierten Zustandes, zur Resignation, zur Regression und zum Einsetzen der Demenzerkrankung.
Quelle: http://www.psychotherapie-prof-bauer.de/alzheimer.html

Vielleicht hilft Dir das weiter?

Birgit
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Donnerstag, 5. November 2015, 09:11

Hmm, der Zusammenfassung des Psychotherabeuten kann ich nicht folgen.

Ich kenne zwei Beispiele aus meiner nächsten Umgebung. Beide bereits verstorben, aber über 80 Jahre alt geworden.

Das erste Beispiel: Die Lebensgefährtin meines Schwiegervaters:
Kurz vor dessen Tod sprachen mein Mann und ich noch darüber, dass wir zu ihrem Sohn Kontakt aufnehmen müssen. Mein Schwiegervater organisierte da schon seit mindestens 2 Jahren den kompletten Haushalt. Sie wurde immer vergesslicher. Er sagte ihr in kleinen Schritten, was sie tun mus. Bis mein Schwiegervater plötzlich verstarb. Ihr Sohn nahm seine Mutter bei sich auf und pflegte sie bis zu ihrem Tod vor einem Jahr.
Das Leben dieser Frau: stark, selbstbewusst, unabhängig (sie besaß mehrere Miethäuser in Ansbach), war ihr Leben lang berufstätig und zog ihren Sohn alleine groß, weil sich der Vater als Taugenichts herausstellte.

Dieses Ergebnis trifft zu 100 % nicht zu:
"an Alzheimer erkrankte Personen bereits früh im Leben in ihrer seelischen (Selbst-) Entwicklung
geschwächt wurden. Die Selbstidentität konnte sich nur schwach
entwickeln, es entwickelte sich eine Tendenz zur Überanpassung. Es
konnte kein markantes Gefühl der eigenen Identität entstehen. Die
Patienten sind hinsichtlich ihrer autonomen Problemlösungskompetenz und
ihrer Fähigkeit zur Selbstbestimmung beeinträchtigt."

Ebenso im zweiten Fall:
Die Mutter unseres ehemaligen Nachbarn (wir sind bis heute befreundet): Die Mutter ein Leben lang berufstätig, ebenfalls einen schwachen Mann, sie dafür umso stärker und herrischer, erzog neben dem Beruf noch 2 Söhne. Der Ehemann starb relativ früh. Als unser Nachbar langsam merkte, dass seine Mutter nicht mehr alleine bleiben kann, holte er sie zu sich. Sowohl er, als auch seine Lebensgefährtin, den ganzen Tag berufstätig.
So kam es, dass ich die Mutter zweimal "einfangen" durfte. Sie hatte es tatsächlich geschafft, sich durch eine Ligusterhecke, die in einen Maschdrahtzaun verwachsen ist, ohne Kratzer durch zu wurschteln.
Wie? Weiß niemand.
Leider zogen unsere Nachbarn nach 2 Jahren weg. Unser Kontakt besteht bis heute. Auch unser Nachbar pflegte seine Mutter bis zu ihrem Tod zu Hause. Das lag aber eher daran, dass der Nachbar nicht akzeptieren wollte, dass auch eine so starke Frau, wie seine Mutter, an einer solchen Krankheit erkranken kann. Er redete sich bis zum Schluss ein, sie würde wieder gesund werden.

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Freitag, 6. November 2015, 18:20

Zusammenfassend sprechen die Ergebnisse der Studien verschiedener Arbeitsgruppen, die Befunde unserer eigenen biografischen Untersuchungen und die Beobachtungen aus den durchgeführten Behandlungen von Patienten dafür, dass später an Alzheimer erkrankte Personen bereits früh im Leben in ihrer seelischen (Selbst-) Entwicklung geschwächt wurden. Die Selbstidentität konnte sich nur schwach entwickeln, es entwickelte sich eine Tendenz zur Überanpassung. Es konnte kein markantes Gefühl der eigenen Identität entstehen. Die Patienten sind hinsichtlich ihrer autonomen Problemlösungskompetenz und ihrer Fähigkeit zur Selbstbestimmung beeinträchtigt. Neurobiologisch scheint dies mit einer Schwächung der synaptischen Vernetzung im Kortex und schließlich mit dem Eintritt in die Krankheit einherzugehen.

Die später Erkrankten entwickeln einen durch Konfliktvermeidung, durch Delegation schwieriger Entscheidungen an Andere und durch psychosoziale Inaktivität charakterisierten Lebensstil. Möglicherweise als Kompensation suchen sie sich pragmatisch hochkompetente Partner, von denen sie jedoch zunehmend abhängig werden. Schwere Störungen der Kommunikation und aufbrechende Konflikte im späteren Verlauf der Beziehung führen zu einem Zusammenbruch des bis dahin kompensierten Zustandes, zur Resignation, zur Regression und zum Einsetzen der Demenzerkrankung.


Das trifft auf auf beide Personen in meinem näheren Umfeld zu.

Hier mein Lernen mit der Person aus meiner Familie:
Sie hatte einen Beruf und hat gearbeitet und scheint auch recht selbstbewusst.
Jedoch sind wohl einschneidende Erlebnisse Flucht und Kindesverlust.
Ihr Partner ist hingegen sehr bestimment und intelligent.

Meine neueste Erfahrung zum Thema Umgang.
Die Kommunikation verläuft über die Gefühlsebene. Energetisch klar und liebevoll ausgerichtet sein hilft.
Die Emotionen sind hier die Worte. Über das Gehör dringt man nicht zu ihrem Wesen durch.

Hier ist Selbstkontrolle und Selbstdisziplin gefragt.
Da ich ja zwei Fälle im nahen Umfeld habe, eine doppelt gute Übung in Geduld.

Da jede Kritik als Angriff gewertet wird, hilft nur ein anderes Vorgehen.
Nicht: Was läuft hier falsch. Das ist nicht korrekt. Das ist aber ganz anders.
Sondern: Wohin richte ich die Energie? Was möchte ich erreichen?

Recht haben wollen ist da überhaupt nicht hilfreich, sondern sinnlos.
Wenn es dumm läuft sogar noch äußerst schädigend.
Angst ist den Alzheimer-Kranken sehr bewußt.

Wenn ich mich darauf einlasse, daß dieser Mensch nun eben so ist,
geht auch mein Herz auf. Denn die Kommunikation läuft darüber anders.
Vielleicht sogar direkter. Liebe täuscht nicht.

Nur, weil Menschen nicht so funktionieren, wie ich es gerne hätte,
gibt es mir nicht das Recht darüber zu urteilen.
Der Mensch ist deswegen nicht weniger wert oder gar minderwertig.
Er ist nur anders.
Signatur von »Lady Martina« "Life doesn't happen to you, it happens for you."

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Samstag, 7. November 2015, 10:20

Da gebe ich dir Recht, Martina.

Bist Du in einer Selbsthilfegruppe? Hast Du Unterstützung für Dich? Oder stemmst Du diese Flut an Gefühlen, die bei dieser Krankheit immer wieder bei den Angehörigen ankommt, alleine?

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Samstag, 7. November 2015, 11:05

Bist Du in einer Selbsthilfegruppe? Hast Du Unterstützung für Dich? Oder stemmst Du diese Flut an Gefühlen, die bei dieser Krankheit immer wieder bei den Angehörigen ankommt, alleine?

Nein, ich bin in keiner Selbsthilfegruppe.
Noch ist sie nicht alleine und hat einen Partner, der wohl das meiste abbekommt und sie auch besänftigt.
Ich weiß auch, daß sobald es schlimmer wird, oder der Partner nicht mehr kann, eine Lösung gefunden werden muss.
Wenn ich mir neutral die Flut an Gefühlen anschaue, kann ich als Beobachter fungieren, und ich fühle mich nicht angegriffen.

Diese Krankheit ist für mich äußerst lehrreich.
Einige Seiten von mir kollidieren und ich muß schnell und weise entscheiden.

Eine Seite ist der Zorn, Rechthaberei.
Die andere Seite ist Geduld und Verständnis.

Außerdem geht es nicht um mich und meine Ziele, sondern
um das Wohlergehen einer Lieben.
Was stelle ich voran?
Ich kann entscheiden, welche Seite ich wähle....wenn auch unter erschwerten Bedingungen.

Jeder bekommt das was er braucht zum Lernen. Nicht das was er gerne hätte.
Signatur von »Lady Martina« "Life doesn't happen to you, it happens for you."

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Samstag, 7. November 2015, 12:29

Jeder bekommt das was er braucht zum Lernen. Nicht das was er gerne hätte.

Ja, ich kenne das. Habe zwar ein anderes Thema zum Lernen. Bin aber auch in keiner Selbsthilfegruppe.
Dort hatte ich am Anfang auch das nicht gefunden, was ich gebraucht hätte. Habe auch die Kraft, das mit mir selbst auszumachen.