"Ringel, Ringel, Reihe, sie sind der Kinder dreie,
sie sitzen unterm Holderbusch und machen alle husch, husch, husch".



Wer kennt dies Spiel nicht aus seinen Kindertagen - oder spielt es gar mit seinen Kleinsten?
Es geht heute um ein Gehölz mit Geschichte, dessen Überreste schon in der Zeit der Pfahlbauten der Stein- und Bronzezeit gefunden wurden.

Vielleicht waren es seine weißen Blüten, die unsere Vorfahren dazu brachten, den Busch zahlreichen Erdmuttergottheiten zu weihen. Wo sonst kann man den Wandel des Lebens so gestaltet beobachten wie hier? Von der Weißen Blüte über die Rote zur reifen schwarzen Frucht.

In der nordischen Sagenwelt zieht die Liebesgöttin Freya in einen Holunderstrauch ein und in Dänemark sagt man, dass im Holunderbaum die Holdermutter wohnt, die jeden Verfolgt, der es wagt, von ihrem Baum Äste abzuschlagen.

Am Bekanntesten ist heute aber wohl die germanische Überlieferung, wonach im Hollerbusch die große Erd- und Fruchtbarkeitsgöttin Erda wohnt und Heim und Hof vor bösen Geistern schützt. Man geht davon aus, daß der Holunder von Erdas zahlreichen weiteren Beinamen wie Holda, Huldana oder auch Hlödyn abgeleitet wurde.

Ob seiner besonderen Weihe war der Holunder für unsere Vorfahren auch Gerichts- und Opferstätte.
Denn die Göttin Holle galt als gutmütig zu denen, die aufrichtig und fleißig sind, als strafend zu denen, die Lasterhaftigkeit und Müßiggang frönen. Ihre zwei Wesenheiten sind bei Jakob und Wilhelm Grimm zum Schicksal der Figuren „Goldmarie“ und „Pechmarie“ geworden.

Ähnlich zweigestaltig wie Frau Holle zeigt sich übrigens die skanidnavische Bergund Waldfrau Huldre, der womöglich das deutsche Wort „huldreich“ entlehnt ist. Wie huldreich sich die germanische Holle allen rechtschaffenen Menschen gegenüber erweist, wird durch eine sagenhafte Begebenheit deutlich: Bei einer ihrer Fahrten über Himmel und Erde brach am Wagen der Göttin Holle eine Radachse. Unbeholfen sah die als mißgestaltige Alte verkleidete Frau um sich und gewahrte einen näher kommenden jungen Wandersmann. Holle bat den Burschen, ihr behilflich zu sein, und der kräftige Mann legte seine Axt an einen aufrecht gewachsenen Baum, fällte und bearbeitete ihn und hatte auf diese Weise endlich eine neue Radachse gezimmert. Merkwürdigerweise sammelte das alte Weib etliche der beim Hauen abfallenden Holzspäne auf und steckte sie ihrem Helfer in die Jackentasche. Der jedoch leerte seine Tasche aus, da er dachte, die Alte machen ihren Spaß mit ihm. Als die Achse eingesetzt und der Wagen wieder fahrbereit war, verabschiedete sich der Wanderbursche und strebte seinem Hause zu. Dort angekommen, langte er in seine Tasche und merkte, dass die wenigen verbliebenen Späne allesamt von gediegenem Gold waren. So traurig er darüber war, seine Taschen kurz zuvor geleert zu haben, so dankte er doch der Alten für ihre Güte.

Im Süddeutschen ist Holle übrigens auch als „Percht“ oder „Perchta“ bekannt, die in den Rauhnächten zwischen Weihnachten und Epiphanias durch die Lüfte zieht. Berchtesgaden und Perchtoldsdorf erinnern an die allgegenwärtige Göttin, deren Farben - weiß, rot und schwarz - das Wappen der oberösterreichischen Stadt Perg zieren.

Hel, Frau Holle, Hilde Moer – sind bekannte Verbindungen, die dieser heilige Baum aufweist.
Damit liegt die Verbindung zum Tod nahe.
In manch altem britischem Hügelgrab wurde Holler bei Bestattungsritualen verwendet. Einer christlichen Sage nach soll sich Judas an einem Holunderbusch erhängt haben.
Und mit seinem Astholz wurde das Maß für den Sarg genommen.

Der Aspekt des Vergänglichen wird uns durch diesen Baum bewusst gemacht und zahlreich sind die Gebote, die sich auf den Baum beziehen.
Im Volksglauben ist verbreitet, dass der, der einen Holunder Verstümmelt oder fällt Unheil auf sich zieht. Viele glauben dass das Verbrennen von Holunderholz gefährlich ist und bei manchen Zigeunerstämmen ist es sogar verboten, Holunder als Feuerholz zu verwenden.
Auch ist der Glaube verbreitet, dass der Holler von Geistern und Hexen bewohnt ist und deshalb rot blutet, wenn man ihn beschneidet.

„Lady Ellhorn, gib mir von deinem Holze, und ich geb dir von meinem, wenn ich einst im Walde zu einem Baum werde.“ Sollte rezitiert werden, um dem Baumgeist die Gelegenheit zu geben, sein Heim zu verlassen.

Mit Vorliebe folgt uns der Baum in unsere Siedlungen; und auch in den dunklen weiten von Sümpfen und Feuchtgebieten haust er. Weckt damit ein Flair des Dunklen, des Unnahbaren. In sich ruhend, in Nebel gehüllt gibt er nicht so ohne weiteres seine Geheimnisse Preis.

Es ist, als wolle er die dunklen Aspekte, die so gern schnell übersehen und ignoriert werden, wieder ins Bewußtsein holen. – Ein Baum, der uns dazu Auffordert nach Innen zu sehen, um großes Wissen um das Ende und den Anfang unserer Lebensreise zu erlangen.
Als 15. Baum auf Fionns Stufen fordert er uns zur Annahme der Prüfung auf.

Der Holunder gehört sicherlich zu den volkstümlichsten Pflanzen überhaupt und diente den Menschen früher als vollständige Hausapotheke. Blüten, Früchte, Blätter, Mark, Rinde, Holz und Wurzeln wurden gegen hunderte von Leiden als Heilmittel verwendet. Ganz besonders wertvoll war ein Holunder, wenn er nicht auf dem Boden, sondern auf den Ästen einer Weide gewachsen war.

Die getrockneten Blätter und Blüten finden als Tee bei fiebrigen Erkältungskrankheiten, wie Lungenentzündung, Grippe, Gelenkrheumatismus Verwendung.
Durch den Gehalt an ätherischen Ölen wird die Drüsensekretion angeregt - dadurch erfolgt eine erhöhte Schweißabsonderung und somit eine Ausscheidung der Krankheitsstoffe.
Da Blätter-, Blüten- und Wurzelabkochungen eine stark harntreibende Wirkung erzielen, werden derartige Tees nicht nur bei Wasserstauungen im Körper durch Kreislaufschwäche, sondern auch zur Blutreinigungskur empfohlen.
Holundermus ist dank des Gehaltes an Äpfel-, Baldrian- und Essigsäure, Gerbstoffen und Farbstoffen geeignet, die Verdauung zu regulieren und als mildwirkendes Abführmittel den Darm günstig zu beeinflussen.

Das liegt wohl daran, dass in allen Pflanzenteilen das cyanogene Glycosid Sambunigrin enthalten ist. Dieses Glycosid spaltet sich in Blausäure ab – welches den Ruf der Giftigkeit des Hollerbusches erläutert. Durch Erhitzen zerfällt Sambunigrin allerdings und somit verliert das Kostbare Gut seine toxische Wirkung.

Im Volksglauben ist verbreitet, das ein Stück Holunderholz – begleitet von den Worten: „Weiche du böser Geist“ – zerkaut, Zahnschmerzen vertreibt.
Man trug einen 3-fach geknoteten Zweig vorbeugend gegen Rheuma mit sich oder behandelte Warzen mit dem Saft.
Überhaupt konnte man alle möglichen Krankheiten auf den Busch übertragen, musste ihn aber dann ehrfurchtsvoll, z.B. mit "Meister Holler" ansprechen.

Das Tragen von Holunder bewahrt vor Angreifern aller Art.
Über Türen und Eingängen aufgehängt, bewahrt er das Haus vor bösen Mächten und Blitzeinschlag. Ein in der Nähe des Hauses gepflanzter Holunder beschert den Bewohnern Wohlstand. Jeden bösen Zauber, der gegen einen gewirkt wurde, kann der Holunder aufheben. Die Beeren schützen, wenn man sie bei sich trägt, gegen Hexerei.
Um eine Person oder einen Gegenstand zu segnen, zerstreut man die Blätter und Beeren des Holunderbusches im Namen der jeweiligen Person oder des Gegenstandes in alle Winde und auf die Person und das Objekt selbst. Somit wird der Holler zum Glücksbringer für das Hochzeitspaar oder die werdende Mutter.

Neben dem Einsatz in der Heilkunde fand er auch vielfältig Verwendung in der Küche. Sei es als Saft, für Mixgetränke, als Gelee oder Mus oder auch ausgebacken im Pfannkuchen.

Die römische Aristokratie färbte sich mit dem Saft die Haare. Stoff und Leder verleiht er rote, schwarze oder blaue Töne. Tiefschwarz wird aus der Rinde erzielt; oder moosgrün aus dem Blatt.

Oder man hing frische Zweige in den Raum, um Fliegen zu vertreiben.

Ein Baum mit vielen bunten Geschichten stellt sich damit zur Wahl um die Pflanze des Monats - ein Baum, vor dem man in früheren Zeiten nicht ohne Grund den Hut zog.